Arne Jacobsen steht für organisches Design: Sowohl die ledernen Swan Sessel als auch die Round Beistelltische, hergestellt von Fritz Hansen, vollziehen wundervolle Rundungen. Fotografiert im St. Catherine College, Oxford UK in 1957. Foto: © Fritz Hansen
In der Retro-Welle aufgestiegen und geblieben: Warum bleibt Mid-Century Design modern?
Kaum eine moderne Einrichtung kommt heute ohne diesen schwer angesagten Stühle aus: Die »Eames Plastic Side Chairs« oder »Armchairs« der Schweizer Marke Vitra stehen mal mit metallener »Eiffel«-Basis, mal mit kokett abstehenden Holzbeinen um den Esstisch. Während dieser Entwurf von Ray & Charles Eames für das amerikanische Mid-Century Design stehen, fallen einem die skandinavischen Designklassiker aus der gleichen Zeit, die »Ameise« oder »Serie 7« Stuhl von Arne Jacobsen für Fritz Hansen nicht so schnell ein: Dabei gehören diese skandinavischen Designklassiker ebenfalls zu diesem Stil – wurden in Amerika des Mid-Century Designs auch munter miteinander kombiniert.
Sowohl der Lounge Chair mit hohem und niedrigem Rücken als auch die Grossman Gräshoppa Stehleuchte von Gubi stehen für klassisches Midcentury Design. Foto: © Gubi
Warum besticht Skandinavisches Design immer wieder? Ist es die reine Form?
Unbescholten liegt der Gründungstein des modernen Designs im Bauhaus der 1920er Jahre – aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt sich in großen Schritten das Leuchten- und Möbeldesign weiter: Es ist schlichtweg der große Bedarf an Möbeln und Leuchten, der diese sprunghafte Entwicklung der Serienproduktion ankurbelt. Ob Hans Wegner, Arne Jacobsen, Børge Mogensen, Nisse Strinning, Eero Aarnio, Poul Henningsen oder Grethe Meyer – alle skandinavischen Designer reduzieren die Form auf das Minimale, stellen den Nutzen in den Vordergrund, ohne aber auf eine ansprechende Ästhetik zu verzichten. Und – sie wagen Neues, fordern die Produktionstechnik heraus. Aber dies mit Erfolg, denn die meisten skandinavischen Haushalte setzen auf die heimische Möbelproduktion damals wie heute.
Ist Mid-Century Design ein amerikanischer Dreh- und Angelpunkt?
Auch wenn es kaum ein Amerikaner gerne hört, aber das Mid-Century Design kommt in seinen Ursprüngen aus Europa, ein Teil aus der skandinavischen Tradition, ein Teil aus dem Fortschrittsgedanken des Bauhauses. Vermischt mit den amerikanischen Ansprüchen an ein neues modernes Leben entwickeln Designer wie Eero Saarinen, Florence Knoll, Greta Grossman, Isamu Noguchi, George Nelson, Alexander Girard, Ray & Charles Eames – um nur einige zu nennen – mit der gleichen Prämisse Designklassiker: Die Kombination aus bewährten und neu entwickelten Materialien, das Reduzieren auf den wesentlichen Kern in der Gestaltung plus eine gewisse Spielfreude, führt zu überaus ansprechenden Midcentury Design-Entwürfen. Und – das darf man bei aller Lobhudelei nicht vergessen – es ist auch der Werbetrommel einiger amerikanischer Marken, allen voran Herman Miller und Knoll Int. zu verdanken, dass das Mid-Century Design diesen Stellungswert damals wie heute bekommt.
Wire Chair von Ray & Charles Eames um Dining Table von Isamu Noguchi. An der Wand hängt ein weiterer Designklassiker von Vitra, die Eye Clock Wanduhr von George Nelson. Foto: © Vitra
Nierentisch & Co: Wie waren die Fifties und Sixties in Mitteleuropa?
Die immense Anfrage an einfachen Möbeln und Leuchten nach dem Zweiten Weltkrieg führt in Deutschland zu keinen gestalterischen Höhenflügen. Zwar wird der skandinavischen Tradition folgend keine schweren, wuchtigen Möbel mehr produziert, sondern eine gewisse Leichtigkeit zieht ein: Der schwere Ohrensessel wird zum Cocktailsessel, die Couch zum Schlafsofa, der Couchtisch höhenverstellbar zum Esstisch, der Buffetschrank zur Vitrine, der Bücherschrank zum filigranen Wandregal. Aber Designklassiker? Zu sehr in den Anforderungen der Zeit verstrickt, zu sehr auf viele kleine Betriebe verteilt. Allenfalls Dieter Rams sticht in den Sechziger Jahren heraus. Während in Italien die europäische Produktion des amerikanischen Mid-Century Designs anläuft und nur zaghaft sich ein eigenständiges italienisches Design um Gio Ponti, Joe Colombo und Achille Castiglioni entwickelt, kochen sowohl die Franzosen als auch die Briten ihr eigenes Süppchen mit hier weniger bekannten Designern wie Jean Prouvé, Serge Mouille, Mathieu Matégot, Bernard Schottlander oder Ernest Race, Lucienne und Robin Day.
Mehr zum Hereinliegen und Wohlfühlen als zum reinen Sitzen gedacht: Ray & Charles Eames entwarfen für Vitra den Prototyp aller Fernsehsessel, den Eames Lounge Chair & Ottoman, also ein Sessel mit Fußhocker. Das amerikanische Designer-Ehepaar ließ sich von einem Baseball-Handschuh inspirieren. Foto: © Vitra
Ist das Mid-Century Design retro oder zeitlos?
Eine pauschale Antwort können wir nicht geben, zu verschieden sind die Gestaltungen, als dass wir sie über einen Kamm scheren können. Heute bekannte Entwürfe des skandinavischen und amerikanischen Mid-Century Designs zeichnen sich einerseits durch eine durchdachte Konstruktion, hochwertige Materialien und hervorragende Verarbeitung aus, andererseits versuchen die führenden Marken wie Vitra, DCW éditions, Gubi, Louis Poulsen oder Fritz Hansen die Möbel und Leuchten im Sinne der Designer modern zu halten. So werden die Maße der Stühle und Tische, Sessel und Couchtische geringfügig den heute gängigen Körpermaßen angepasst. Materialien werden zugunsten umweltfreundlicher Produktionen variiert, neue technische Anforderungen umgesetzt. Somit entsteht ein Unterschied zum ursprünglichen Original, der aber durchaus gewollt ist! Denn was helfen wundervolle Leuchten in einer Einrichtung, wenn man sich nicht traut, sie zur Beleuchtung unter Strom zu setzen?
Braucht gutes Design eine Geschichte?
Oder drücken wir es anders aus: Nur mit einer Geschichte lässt sich gutes Design in seiner hochwertigen Verarbeitung auch entsprechend seinem Preis vermarkten. Und wenn der Hintergrund allzu dürftig ist, hilft vor allem eine Platzierung in Filmen: Wir erinnern uns gerne an den Hype rund um die »Mad Man« Serie. Auf der Erfolgswelle der Filme wird die Nachfrage kräftig angekurbelt, was wiederum weitere Neuauflagen oder »Reeditionen« alter Designklassiker nach sich zieht – bis wir irgendwann in den staubigen Archiven landen, um nie veröffentliche Entwürfe mit neuer Technik zum Leben zu erwecken. Auch eine gute Story...